Winter in Deutschland
Märchenstunde und Mystik im Spessart
Lohr am Main (dpa/tmn) Im
Spessart können sich Besucher fühlen wie im Märchen
immerhin soll das Schneewittchen aus dieser Region sein.
Doch es sind nicht nur Mythen, die auf einer winterlichen Reise die Fantasie beflügeln.
Der Weg über die sieben
Berge zu den sieben Zwergen, wie man ihn aus
Grimms Märchen Schneewittchen kennt, führt durch
Mischwald. Fichten, Eichen
und Buchen säumen den markierten Schneewittchenweg
von Lohr am Main nach Bieber. Farne fächern sich auf,
Harzperlen glitzern an Stämmen, raschelndes Laub.
Hier also floh Schneewittchen vor der niederträchtigen
Königin, die ihre Stiefmutter
war, bis sie das rettende
Zwergenhaus erreichte und
sich in Sicherheit wähnte.
Doch die Monarchin stellte
ihr nach und wollte sie auslöschen, da das sprechende
Spieglein, Spieglein an der
Wand nicht sie selber als
Schönste im ganzen Land
erachtete, sondern das tausendmal hübschere Schneewittchen.
Legt man heute die Route
zurück, bleibt festzuhalten:
Das von den Gebrüdern
Grimm
skizzierte
böse
Weib muss nicht nur wahnsinnig, sondern auch wahnsinnig fit gewesen sein. Zwischen Lohr und Bieber liegen
35 Kilometer, die sie dreimal
bewältigte, hin und zurück,
um die Stieftochter mit einem
Schnürriemen, einem toxischen Kamm und einem vergifteten Apfel ins Jenseits zu
befördern.
Märchen sind nicht zu ver-
orten, die Schauplätze können überall sein eigentlich.
Das Panorama änderte sich
1986, als Schneewittchen in
Lohr drei neue Väter bekam.
Ein Trio aus sogenannten Fabulogen fand in einer Weinstube unter Zufluss von reichlich Rebsaft heraus, dass die
Märchengestalt die auf dem
Lohrer Schloss geborene
Adelige Maria Sophia Katharina Margaretha Freyin von
Erthal (17251796) und der
Wald demzufolge der Spessart gewesen sein muss.
Seither herrscht ein Hype,
und Stadtführerin Bettina
Merz spannt den Bogen von
der Fiktion zur Wirklichkeit.
Eine eitle, eingebildete Stiefmutter habe es gegeben,
einen wertvollen Spiegel aus
der örtlichen Manufaktur,
ebenso die Berge und die
Zwerge.
Das waren Bergarbeiter,
sagt Merz. Denn es gab früher Bergbau im Spessart. Die
Stollen waren sehr niedrig, da
arbeiteten
kleinwüchsige
Menschen und Kinder. Zum
Schutz gegen herabfallenden
Schmutz trugen sie Zipfelmützen, das sieht man auf alten Holzstichen.
Auch der Glassarg, in dem
Schneewittchen nach dem fatalen Biss in den Apfel landete, passe in den Spessart
weil wir hier schon immer
Glasherstellung hatten, wie
Merz erklärt.
Was fehlt, ist der Prinz. Im
Märchen erlöste er Schneewittchen vom üblen Zauber
und führte sie vor den Altar,
während sich im wahren Leben die fromme, fast erblindete Maria Sophia dem Institut der Englischen Fräulein zu
Bamberg anschloss.
Diese Hintergründe erhellt
die Biografie im Lohrer
Schloss, wo das Spessart-Museum untergebracht und das
Schneewittchen-Kabinett
als Zugeständnis an die Neugier der Besucher zu interpretieren ist.
Was hält Museumsleiterin
Barbara Grimm davon, deren
Nachname ein skurriler Zufall ist? Das Thema macht
uns natürlich bekannt, sagt
die
58-Jährige.
Aber
Schneewittchen ist nur ein
winziger
Bruchteil
der
Schlossgeschichte und des
Museums. Deswegen ist es
für uns wichtig, das Ganze
mit einem zwinkernden Auge
zu betrachten. Märchen wurden ja gerne erzählt, aber niemals geglaubt.
Trotzdem führt kein Weg
an dem von Frau Grimm konzipierten
Märchenklang-
raum, in dem sich das Prunkstück unter all den Exponaten
befindet: der Schneewittchen-Spiegel mit zwei Sinnsprüchen auf Französisch, die
in kunstvolle Medaillons gefasst sind und so mit dem Betrachter kommunizieren, also
gewissermaßen sprechen.
Längst hat die MärchenBeauty die Spessart-Räuber
in den Schatten gestellt, die
als Wirtshaus im Spessart
ebenfalls ihren Platz im Museum haben. Die Novelle von
Wilhelm Hauff (18021827)
diente als Vorlage zum
gleichnamigen
Erfolgsfilm
von 1958, der geprägt war
vom Charme der Lilo Pulver
und realitätsfremder Räuberromantik.
Viele schlitterten damals
aus sozialer Not in die Räuberkarriere hinein, erklärt
Museumsleiterin
Grimm.
Sie stammten aus Familien,
die wohnsitzlos waren und
umherziehen mussten.
Schneewittchen wird in
Lohr als Leitmotiv wunderbar
strapaziert. Führerin Merz
zeigt Zwergskulpturen, sinniert über das polemische
Horrorwittchen-Denkmal vor
der Stadthalle, erklärt die
Schneewittchen-Rallye
für
Kinder. Und weiß sogar, wo
die böse Stiefmutter das Gift
für den Apfel besorgte.
Zudem unterhält die Stadt
einen Pool aus Darstellerinnen für Anlässe jedweder Art.
Darunter ist Julia La Ferla, Sekretärin, 24. Sie wirft sie sich
stilvoll in Schale und spricht
schmunzelnd von ihrem Aufstieg: Als Kind war sie mit
weißem Bart als Zwerg bei
Auftritten von Schneewittchen dabei jetzt ist sie die
Chefin.
Zurück auf dem Schneewittchenweg, begegnet man
weder der Schönheit selbst
noch den legendären Spessarträubern, dafür einem
Mann aus Fleisch und Blut:
Burkhard Büdel, 67, emeritierter Professor für Pflanzenökologie. Die Spielplätze seiner Kindheit waren der Wiesbüttsee und das Wiesbüttmoor, wo er als Bub mit dem
Fahrrad hinfuhr, fasziniert vor
allem von den Kreuzottern.
Später, als Wissenschaftler,
ergründete Büdel das Hochmoor als unersetzliches
Datenarchiv, wie er sagt, mit
einem fast 4000-jährigen
Fundus. So weiß er zum Beispiel, dass im Spessart urMärchenstimmung auf dem
sprünglich keine Fichten
Schneewittchenweg: Wie ein
wuchsen, die in jüngster VerFabelwesen ragt der alte
gangenheit extrem unter der
Baumstamm aus dem LochSommertrockenheit gelitten
borner Teich.
haben.
Plötzlich tauchen echte
Märchenkulissen auf dem
Schlussstück nach Bieber auf,
am Lochborner Teich, vormals ein Reservoir für die
Bergwerke. Geisterhaft steigen tote Stämme aus dem
Wasser und beflügeln in der
Dämmerung die Fantasie.
Sind es nicht Gesichter,
denen Haarbüschel aufsitzen, an denen wilde Bärte
hängen, in denen Augenhöhlen stecken? Nur schnell weg
hier.
Das Endziel im Talgrund
fällt ab: Bieber schlummert
vor sich hin. Dort, wo
Abendstimmung in den Gassen von Lohr in der Stadt beginnt Schneewittchen bei den
der Schneewittchenweg.
Zwergen Unterschlupf fand,
bleibt im Gegensatz zu Lohr
die Vermarktungsoffensive
aus. Kein Zwergenmuseum,
kein Zwergenhaus, kein
Zwergencafé. Dafür haben
sie zwei Pizzerien.
Märchen lassen Burkhard
Kling seit seiner Kindheit
nicht los. Früher, erinnert er
sich, legte er wie Hänsel Spuren im Wald, um später wieder herauszufinden allerdings aus Kiefernzapfen. In
Steinau leitet er das museale
Brüder-Grimm-Haus, wo Vater Grimm einige Jahre als
Amtmann tätig war und zwei
seiner Söhne durch die Stube
Die Märchen-Stadtführung in Steinau führt auch am Märchen- tollten: Jacob und Wilhelm,
brunnen vor dem Rathaus vorbei.
die Begründer der Germanis-
Im Schloss von Lohr ist das Spessart-Museum untergebracht dort erfahren Besucher viel über die Geschichte der Region.
Märchenerzähler: Gebrüder-Grimm-Statue, hier auf dem Zwerge in einem Fenster in Lohr die Märchenwelt ist hier
Marktplatz von Hanau.
auch ein Geschäft.
Burkhard Büdel ist Experte für Schlüpft auf Bestellung in die
Pflanzenökologie.
Rolle des Schneewittchens:
Schauspielerin Julia La Ferla.
tik und Herausgeber der weltberühmten Kinder- und Schwert oder einen Säbel,
Hausmärchen.
aber mit einer scharfen Waffe
Kling korrigiert die Vorstel- durften sie nicht in den Gotlung, die Grimms seien als tesdienst. Da fuhren sie an
Märchensammler umherzo- der Seite des Eingangs mit
gen, vielmehr seien ihnen den Klingen entlang. Damit
Beiträge zugeliefert worden. waren die Waffen symbolisch
Er räumt aber ein, dass darun- entschärft und sie konnten
ter Geschichten waren, die rein.
Die Märchen sind eine Sadie Grimms möglicherweise
schon in ihrer Kindheit gehört che, die Zauberwelten im
Naturpark Spessart eine
hatten.
Die Säle sind mit Liebe andere. Nebel umhüllt jahrBaumriesen,
zum Detail aufgezogen und hundertalte
leuchten,
voller Kuriosa. So scheute Mooskissen
sich Kling nicht, für die Rot- Spechte hämmern, das Raukäppchen-Sektion ein Outfit schen eines Baches strömt
aus dem Erotikshop zu bestel- heran.
Wer
im
Hafenlohrtal
len. Konservativ hingegen ist
der Dresscode bei der Mär- glaubt, er habe den Verstand
chenstadtführung mit Frau verloren, weil plötzlich KoHolle alias Renate Ulrich: losse auftauchen, die man
langer Rock, Haube, Strick- eher in Gefilden Asiens verorstrümpfe. Dazu schleppt die tet keine Sorge, die Wasser64-Jährige ein Federkissen büffel gibt es wirklich.
Das Büffelprojekt verfolgt
mit. Angst, weil sie wie im
Märchen verbürgt so große einen mehrfachen Zweck.
Zähne hat, muss man nicht Die Schwergewichte fungieren als Landschaftspfleger
vor ihr haben.
Stationen sind der Mär- und schaffen Lebensräume
chenbrunnen, das Schloss für andere Tiere, sind aber
und die Katharinenkirche, auch Fleischlieferanten. In
neben deren Portal seltsame der Friedensstimmung des
Rillen im Sandstein auffallen. Tals oder auf der FreilandkopLaut Volksmund stammen sie pel bei Bergrothenfels wievom Teufel, eingekratzt aus derkäuen manche ihrem
Wut, da ihm hier ein Mann Schicksal entgegen. Das Saentwischte, der dem Höllen- gen hat die Leitkuh, die Rolle
fürsten seine Seele verspro- des Bullen reduziert sich auf
Fortpflanzung und Bewachen hatte.
Da eine Kirche ein heili- chung der Herde.
Das perfekte Erlebnis zum
ger, geweihter Ort ist, war es
dem Teufel unmöglich, ihm Ausklang ist eine Nacht
zu folgen, klärt Frau Holle im Baumhaushotel bei Gräalias Frau Ulrich auf und lie- fendorf. Sobald sich der
fert die tatsächliche Erklärung Abend über den Forst senkt
für die Rillen: Früher trugen und in der Ferne das letzte
erstirbt,
die vornehmen Herren ein Motorengeräusch
Barbara Grimm ist die Leiterin
des Spessart-Museums.
lauscht man im Baumhaus
in die schwarze Stille hinein
und
spürt
Gelassenheit.
Morgens liegt Dunst im
Waizenbachtal, bis die Sonne durch die Bäume bricht
und eine Frühstücksfee mit
ihrem Korb auftaucht. Märchenhaft.
Reiseinfos
Reiseziel: Der Spessart ist ein
deutsches Mittelgebirge, das
sich über die Grenzen der
Bayern und Hessen erstreckt.
Adressen: Spessart-Museum,
Schloßplatz 1, 97816 Lohr am
Main (Tel. 09353 7932399,
www.spessartmuseum.de).
Brüder Grimm-Haus und Museum Steinau, Brüder GrimmStraße 80, 36396 Steinau an
der Straße (Tel. 06663 7605,
E-Mail: info@museum-steinau.de, www.museum-steinau.de, www.brueder-grimmhaus.de).
Informationen: Tourismusverband Spessart-Mainland, Industriering 7, 63868 Großwallstadt (Tel. 06022 261020,
E-Mail: info@spessart-mainland.de, www.spessart-mainland.de).
Der Schneewittchenweg misst 35 Kilometer ganz schön weit
für die fiktive böse Stiefmutter aus dem Märchen.
Sieht ein bisschen wie ein Märchenhaus aus: das BrüderGrimm-Haus.
Fotos: dpa/tmn
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